Das Lied der Steine
Der Herr der Inseln
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Wie entstand Lasra?

"Der eine sammelt Playmobil-Figürchen, der andere Briefmarken. Bergsteiger in Schottland sammeln Munros, also Berge über 3000 Fuß. Mein Mann und ich sammeln Megalith-Denkmäler. Gräber, Steinkreise, Steinreihen, Standing Stones dürfen es sein, und da es auf Orkney zusätzlich noch ein komplettes Steinzeitdorf gibt, Skara Brae, brachen wir 1989 zu der langen Reise in Schottlands Norden auf: Über den Kanal, mit dem klapprigen Ford Taunus durch Großbritannien, schließlich mit der P&O-Fähre nach Mainland, der Hauptinsel des Orkney-Archipels.
Es war Liebe auf den ersten Blick. Sahen wir überhaupt das Land? Die grauen Bauernhöfe, die Heidehügel, die sanft gewellten, seit Jahrtausenden bestellten Felder? Wir sahen, was wir sammelten. Unsere Phantasie füllte die Steinzeithäuser mit Menschen und Hunden, ließ ein Feuer im Herd prasseln und Fische im Rauch dörren. Wir rätselten über die Toten, die in dem mächtigen Gewölbe von Maes Howe ihre letzte Ruhe gefunden hatten. Wer mochte in den Steinkreisen von Stenness und Brodgar die Götter angerufen oder die Sterne beobachtet haben?
Schließlich gelangten wir zu einem Grab über den Klippen, ziemlich abgelegen im Süden der Inseln. Krochen durch einen feuchten, moosigen Gang in die Kammer, wo uns fünf Schädel aus einer Nische angrinsten. Ja, die sind echt, erzählte uns Morgan Simison, eine Bewohnerin der Gegend, später in ihrem Farmhaus, klappte den Glasdeckel von einer der wackligen Vitrinen auf der Veranda hoch und reichte uns ein flaches Steinbeil herüber. Glatt schmiegte sich die polierte Axt in die Handfläche, beim Feuersteinmesser mußte man aufpassen, sich nicht zu schneiden. Und dann bekamen wir einen Schädel in die Hand gedrückt. Ein eigenartiges Gefühl. Ja, der Schädel war auch echt, ihr Mann Ronald hatte ihn vor einigen Jahren nach allen Regeln der archäologischen Zunft ausgegraben. Vor viereinhalbtausend Jahren, plus minus ein paar Hundert, hatte diese Vorgängerin - ihre abgekauten Zähne zeigten, daß sie sehr alt geworden war - , womöglich Vorfahrin der Simisons die Isbister-Scholle beackert.
Dieses seltsame Grab ließ mich nicht mehr los. Immer, wenn ich in den folgenden Jahren wieder auf Isbister war und einen Schädel in den Händen hielt, beschlich mich ein absurdes Gefühl von Ungerechtigkeit. Was für Geschichten könnten diese Knochen nicht erzählen! Aber keine Schrift, keine Geschichten. War das ihre Rache, weil man sie aus ihrem Ahnenhaus geholt hatte und herumreichte? Den meisten Gebeinen der 342 Steinzeitbauern war ein noch unrühmlicheres Schicksal widerfahren. Sie lagen vergessen in irgendeinem Edinburgher Universitätsarchiv.
Man müßte ihnen ihre Geschichte geben, dachte ich. Einen Roman schreiben. (Welcher Reisejournalist hat nicht einen Roman in der Schublade liegen, den ganz großen Wurf?, hat eine kluge Kollegin einmal geschrieben.) Es dauerte dann noch ein paar Jahre, bis die Idee Gestalt annahm. Lasra selbst erblickte fern ihrer Heimat das Licht der Welt, auf Island. Aber das ist eine andere Geschichte.«

Wurde Lasras Geschichte tatsächlich in Ihrer Familie seit Generationen überliefert?

"Das wäre schön, wenn es in unserer Familie so eine Tradition gegeben hätte. Als Autorin habe ich den Vorteil, mir auch mal einen Wunsch wahr schreiben zu können. Aber auch die ´Erzählerin´ im Nachwort ist eine fiktive Person, auch wenn ich sie mit einigen Dingen aus meiner Biographie ausgestattet habe. Also in dem Sinne: Wenn es auch nicht wahr ist, ist es doch gut erfunden, und tatsächlich mag ich das Nachwort besonders gern. Was ich damit wollte, war die Frage der Überlieferung in der Schwebe zu halten, die Geschichte an die heutige Zeit anzubinden und zum Nachdenken anzuregen, was denn nun ´wahr´ ist und was nicht."